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photographer: Josef Beyer, muse: Jasmina Al Zihairi
Wie geht`s dir gerade? Bist du gestresst, unruhig, zufrieden oder hast du keine Ahnung, wie du drauf bist? Bist im „Normalmodus“ unterwegs, spulst deinen Alltag ab? Oder willst du vielleicht garnicht so genau wissen, wie dir wirklich zu Mute ist? Gehörst du zu denen, die sagen „was nützt`s?“ ,ändert ja sowieso nichts?
Wir besitzen ein breites Gefühlsrepertoire, Trauer, Wut, Ärger, Angst gehören genauso dazu wie Freude, Glück, Begeisterung und Liebe. Natürlich sind uns die positiven Gefühle willkommen und viel lieber, als die Gefühle, die uns deutlich oder latent herunter ziehen. Besonders in unseren heutigen Welt, wo jede Äußerung eines negativen Gefühls mit einem „du musst das positiv sehen, du musst positiv denken“ quittiert wird. Stimmt das, kann man wirklich positiv denken, wenn man gerade Ärger mit dem Partner hat, der Chef mit dem Ergebnis der mühevollen Arbeit nicht zufrieden ist? Schaffst nur du das nicht, dir Mantra ähnlich positive Formulierungen vorzubeten, die den Ärger bitte auflösen sollen?
Nein, es ist nicht nur unmöglich negative Gefühle zu unterdrücken, es ist höchst ungesund! Unser erster körperlicher Mechanismus nicht zu fühlen, ist Anspannung. Und zwar ganz konkret als erstes die Anspannung der großen Rückenmuskulatur! Jeder kennt das Phänomen die Schultern hochzuziehen, wenn einem Zuviel im Nacken sitzt, wenn man Angst hat, überfordert ist. Die Anspannung muss aber nicht gleich so deutlich sichtbar sein, es kann ein ganz subtiles Spannen einzelner Muskelpartien stattfinden. Gefühle zu unterdrücken, zu deprimieren, kostet Kraft, ganz konkret die Kraft unserer Muskulatur und damit verbrauchen wir Energie. Wenn wir das lange genug so machen, entsteht Schmerz, Nackenschmerzen, Rückenschmerzen und irgendwann ziehen die verspannten Muskeln ungleich an den Gelenken und eine Kette von körperlichen Problemen ist die Folge. Bei Manchen geht der Druck, unter den sie sich stellen, um nicht mit ihren Gefühlen umgehen zu müssen, auf die inneren Organe: die Muskulatur, die die Gefäße umkleidet spannt sich an, aus den flexiblen Schläuchen werden starre Rohre, der Blutdruck steigt an. Die psychosomatische Medizin aber auch die Schulmedizin könnte eine Menge körperlicher Symptome auf „das Nicht-fühlen-wollen“ zurückführen, wenn sie nur danach suchen würde. Andere nützen die Anspannung ihrer Muskulatur, um die Aktivität zu steigern: sie gehen auf die Flucht in Perfektionismus, noch mehr Arbeit, stürzen sich in anstrengende Freizeitvergnügungen oder gar gefährliche Abenteuer. Alles um nicht fühlen zu müssen?
Ist es wirklich so schlimm, auch negativen Gefühlen ihren Platz einzuräumen? Natürlich möchte niemand gerne traurig sein, Angst haben oder sich ärgern. Vor allem wenn man glaubt, kein Recht dazu zu haben oder kein Ventil, um sie wieder los zu werden. Aber negative Gefühle gehören nun mal zu unserer menschlichen Gefühlsbreite und sie weisen uns, evolutionstechnisch schlau, auf Missstände in uns selbst oder um uns herum hin.
Wie also umgehen mit ihnen, wenn wir sie weder unterdrücken noch impulsiv ausleben sollen?
Eigentlich ist es ganz einfach: negative Gefühle wollen einfach gefühlt werden! Sie sind kein Fluch, der das nächste Unglück anzieht, keine Dauerbegleiter, wenn sie erst einmal da sind und schon gar keine Ratgeber oder Handlungsanweisungen. Sie wollen da sein dürfen und gespürt werden, einfach so, ohne bewertet oder abgelehnt zu werden. Wenn wir uns trauen zu fühlen, werden wir merken, dass Gefühle, wie alles in unserem Leben, Rhythmen unterworfen sind, sie branden auf, um dann wieder abzuebben und zu vergehen. Es gibt nichts zu tun! Weder zu unterdrücken, noch, was auch manche tun, darin zu baden, in Selbstmitleid zu versinken.
Wir können uns fragen, was uns das Gefühl sagen will, prüfen, ob es der Situation, in der es hoch gekommen ist, angemessen ist. Wenn das Gefühl nach gelassen hat, können wir uns überlegen, ob es angebracht wäre, zu handeln, mit dem Partner oder dem Chef zu sprechen, etwas zu klären, zurecht zu rücken oder anders zu machen.
Wir sind keine programmierbaren Roboter, deshalb ist es ok, auch einmal unmittelbar zu reagieren, in Tränen auszubrechen, auszuflippen oder uns beleidigt zurück zu ziehen. In südlichen Ländern ist das eine Frage des Temperaments und unser Gegenüber darf unsere Stimmung ja auch spüren. Trotzdem ist es selten produktiv allzu impulsiv zu sein, oft verschärfen sich die Probleme dadurch. Es würde also Sinn machen, die Situation kurz zu verlassen, tief durchzuatmen, sich Zeit und Raum zu geben, kurz nachzuspüren, was in einem vorgeht, um in der Zeit Fassung zu finden, ohne eine muskuläre Selbstbeherrschung zu brauchen.
Es gibt eine Faustregel in der systemischen Therapie: Wenn man in einer Situation überreagiert, ist man selten mit der Gegenwart in Kontakt, sondern meistens mit der Vergangenheit! Und dann gibt es in uns einen Missstand, um den wir uns kümmern müssen. Wenn also zum Beispiel der Chef eine Beanstandung hat, die verträglich hervor gebracht wurde und wir spüren eine übermäßige Wut in uns hochkochen, könnte es sein, dass wir uns in der Rolle eines kleinen Kindes wiederfinden, dass sich vom Vater ungerecht behandelt fühlt. Ähnliches gilt in vielen partnerschaftlichen Konflikten. Es ist uns nicht bewußt, aber plötzlich haben wir es bei einer Meinungsverschiedenheit nicht mehr mit der gegenwärtigen Konfrontation mit dem Partner zu tun, sondern mit Mutter oder Vater, Geschwistern oder Lehrern. Und dann enden die Konflikte in hilflosem Unverständnis und Ratlosigkeit, weil der andere spürt, dass es nicht um ihn oder die Sache gehen kann. Wenn wir also nicht angemessen reagieren, sind wir mit alten erlittenen Verletzungen in Kontakt, die wir aufspüren und uns bewußt machen müssen, um nicht jemand anderes darunter leiden zu lassen.
Es geht also bei Gefühlen hauptsächlich um Bewusstsein und sich bewusst werden! Awareness eben!
Es gilt die Angst zu verlieren vor unseren Gefühlen, es gibt nämlich eine Geschenk, das unsere Gefühle, auch die negativen mitbringen: sie sind schöpferisch! Überwunden und durchgestanden, verwandeln sie uns, machen uns reifer und verständiger, gelassener und heiterer. Im Durchhalten, Aushalten der negativen Gefühle finden wir das, was wir durch das Unterdrücken nie erreichen können: die positive Zukunft.