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Nur noch schnell die aufgelaufenen Emails beantworten, mal durchsaugen, wenigstens das Konzept für die Präsentation erstellen, noch kurz die unglückliche Freundin anrufen, den Kuchen für das Kindergartenfest backen, das Ferienhaus buchen.... Und dann die Bügelwäsche, die Wahl für den Elternbeirat, der dringend mehr Engagement bräuchte, die überfällige Steuererklärung. Auf der Krankenhausstation, in der Praxis kann man auch nicht alles liegen und stehen lassen, nur weil der Dienst eigentlich bereits vor 1 ½ Stunden geendet hätte und der Älteste braucht Unterstützung zur Vorbereitung der Englischschulaufgabe...
Mitfühlen, mitleiden, helfen, sich engagieren, sich interessieren, sich verantwortlich fühlen – diese ganzen Eigenschaften können uns schnell an die Grenzen unserer Belastbarkeit bringen. Dann drohen Erschöpfung, Müdigkeit, banale Infekte, Burn-out- Zustände, begleitet von Gefühlen der Leere, Sinn- und Freudlosigkeit.
Immer wieder können wir von Familienmitgliedern, Freunden und Kollegen entsprechende Klagen hören und sie auch am eigenen Leib verspüren. Die Diagnose Burn-out-Syndrom wird zum Schreckgespenst für jeden Arbeitgeber, zieht sie doch in der Regel längere Ausfälle der Angestellten nach sich, was dann die Kollegen wieder über Gebühr belastet.
Wie kommt es, dass eine ganze Gesellschaft zwischen völliger Erschöpfung und egoistischer Selbstbezogenheit schwankt und oft genug in ein und derselben Person? Wieso tun wir uns so schwer die eigenen Grenzen körperlich, vor allem aber seelisch wahrzunehmen? Warum spüren wir die Anzeichen von Stress erst, wenn die Verspannungen schmerzen, der Tinnitus manifest ist, die Stimmung im Keller und die dritte Bronchitis in Folge uns zwingt, Antibiotikum zu schlucken?
Wie ist unsere Welt, unser Alltag so außer Rand und Band geraten, dass wir nicht mehr hinter her kommen und Ruhe und Beschaulichkeit Relikte aus längst vergangenen Zeiten zu sein scheinen?
Und viel wichtiger noch, was können wir tun, um nicht ständig an den Grenzen unserer Belastbarkeit entlang zu schrammen?
Die Meisten von uns haben mittlerweile gelernt, dass es sinnvoll ist etwas für die eigene Gesundheit zu tun, Fitness-Studios entstehen an jeder Ecke, Ernährungsratgeber boomen. Wir wissen Bescheid über unseren Body-Mass-Index, unsere Leberwerte und die günstigste Herzfrequenz, aber wie ist das eigentlich mit unserer Seelenstärke? Mit unseren emotionalen Kräften? Darüber haben wir weder in unserer Erziehung noch in der Schule oder Ausbildung etwas gehört, diesbezügliche Ratgeber beschäftigen sich meist mit emotionaler Selbstoptimierung oder den Störungen, die sich aus dem Fehlen der Kräfte ergeben. Wie wir aber unsere Seele nähren, pflegen und trainieren, wissen wir nicht oder wir schenken dem nicht genug Beachtung in dem Sinn, dass wir daraus ein tägliches Ritual wie das Zähneputzen werden lassen könnten.
Genau das braucht aber unsere Seele: täglich genährt zu werden, genauso wie unser Körper. Wir müssen uns dafür keine bestimmte Ideologie zu eigen machen, sondern das verfolgen, was uns gut täte, wenn wir es nur zulassen würden: Momente der Ruhe, des Durchatmens, des Für-sich-seins, der inneren Einkehr, ohne Ablenkung und Berieselung. Das kann ein kurzer Spaziergang in der Natur sein, der mit allen Sinnen (und ohne Handy) wahrgenommen wird, ein ruhiges Dasitzen, meditieren oder beten, ein sanftes Innehalten und Spüren. Allein das als tägliches Ritual in den Alltag eingebaut, würde uns einen Zuwachs an seelischer Kraft bringen.
Auf diese Weise können wir auftanken und das ist nötig, wenn wir unsere vielfältigen Aufgaben bewältigen wollen und damit zurück zu unseren Grenzen. Um unsere Grenzen kennen zu lernen und achten zu können, müssen wir wissen, wieviel Kraft und Energie wir zur Verfügung haben. Diese Bilanz muss genauso stimmen, wie die Bilanz unserer körperlichen Parameter, unsere finanzielle Bilanz und sogar der Inhalt unseres Tanks. Wenn wir ständig mehr geben, als wir besitzen, gleicht das inflationärem Verhalten: Irgendwann kommt die Insolvenz, der Zusammenbruch! Unser Auto beginnt zu stottern und bleibt schließlich stehen, wenn wir nicht auftanken.
Was also würdest du tun, wenn du kein Geld mehr hättest, deine Kasse leer wäre? Du würdest sie hoffentlich schließen, nichts mehr ausgeben, solange bis sie wieder aufgefüllt wird und du würdest dich wahrscheinlich darum kümmern, wie du das tun kannst. Genauso wie du mit deinem Auto rechtzeitig eine Tankstelle anfahren würdest, um in keine unangenehme Situation zu kommen.
Wieso haben wir aber die Idee, dass unsere seelischen Kräfte ohne unser Zutun unerschöpflich sein könnten? Wir können nur soviel Kraft einsetzen, wie wir in diesem Augenblick zur Verfügung haben, nur geben, was wir besitzen.
Deshalb ist es in unserer heutigen rasenden Gesellschaft wichtiger denn je, dafür zu sorgen, dass wir das Gefäß unserer Seele auch wieder füllen können. Und alles tun, was dazu nötig ist, als unsere oberste Priorität!
Wenn wir aus unserem Erfülltsein heraus geben können, sind wir bei uns, in unserer Kraft und laufen nicht Gefahr auszulaugen. Und wenn wir merken, dass unsere Energie abnimmt, können wir uns zurückziehen und uns erholen, bis wir uns wieder kraftvoll fühlen. Auf diese Weise sorgen wir einzigartig für unsere seelische und auch körperliche Gesundheit.
Es mag sein, dass wir dann nicht so viele Aufgaben erledigen können, wie wir uns vorgenommen haben, mag aber auch sein, dass die Aufgaben aus dem Vollbesitz unserer Kräfte heraus viel leichter erledigt werden können. So oder so ist es wichtig sich der eigenen Verfassung und Kraft bewusst zu sein und aus diesem Bewusstsein heraus dann „nein“ zu sagen, eine Grenze zu setzen, wenn unsere Energiebilanz in Ungleichgewicht geraten ist.
Bernhard von Clairveaux, ein mittelalterlicher Abt, hat zu diesem Thema einen wunderbaren Text verfasst:
Wenn du vernünftig bist, erweise dich als Schale, nicht als Kanal, der fast gleichzeitig empfängt und weitergibt, während jene wartet, bis sie gefüllt ist.
Auf diese Weise gibt sie das, was bei ihr überfließt, ohne eigenen Schaden weiter.
Lerne auch du, nur aus der Fülle auszugießen, und habe nicht den Wunsch, freigebiger als Gott zu sein.
Die Schale ahmt die Quelle nach. Erst wenn sie mit Wasser gesättigt ist, strömt sie zum Fluss, wird sie zur See.
Du tue das Gleiche! Zuerst anfüllen und dann ausgiessen.
Die gütige und kluge Liebe ist gewohnt überzuströmen, nicht auszuströmen...
Ich möchte nicht reich werden, wenn du dabei leer wirst.
WENN DU NÄMLICH MIT DIR SELBST SCHLECHT UMGEHST, WEM BIST DU DANN GUT?
WENN DU KANNST, HILF MIR AUS DER FÜLLE, WENN NICHT, SCHONE DICH.