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DAS RITUAL DER GASTFREUNDSCHAFT
Seit biblischen Zeiten wird in nahezu allen Kulturen ein Ritual gepflegt, das wie kein zweites der Pflege unserer zwischenmenschlichen Kommunikation und der Stärkung unseres Gemeinschaftssinnes dient: Die gegenseitige Gastfreundschaft.
Wie Gastfreundschaft ge- und erlebt wird, variiert von Land zu Land, von Kulturkreis zu Kulturkreis und von Gesellschaftsschicht zu Gesellschaftsschicht. Die Unterschiedlichkeit der Rituale drückt sich nicht nur in der Form des Umgangs von Gastgeber und Gast miteinander, also in der Art der Einladung, der Begrüßung und des Angebotes an Bewirtung und Unterhaltung, sondern vor allem auch in der Deutung der Verhaltensweisen aus.
Zwischenmenschliche Kommunikation kann nur glücken, wenn bestimmte Regeln des Umgangs erkannt und beachtet werden. Jede menschliche Gruppierung hat ihre bewussten oder unbewussten Rituale entwickelt, durch die Ordnung in den Beziehungen hergestellt werden soll, die richtige Hierarchie, die richtige Distanz, das richtige Geben und Nehmen.
Diese Rituale entspringen einer gemeinsamen Kultur, Geschichte und Sprache wodurch Identität und Verbindlichkeit erfahren wird. Durch das selbstverständliche Wissen um die Rituale einer Gemeinschaft verliert der Einzelne das Gefühl persönlicher Entfremdung und Unzulänglichkeit.
Das meist bewusste Einhalten dieser Spielregeln vermittelt den Menschen die Zugehörigkeit zu seiner Gruppe und hilft ihm sich innerhalb dieser Gruppe anhand seiner individuellen Bedeutung und Stellung zu orientieren. Diese Normen schaffen Bezug („dies ist mir vertraut“, „dies ist mir fremd“), gleichzeitig können sie Respekt und Wertschätzung vermitteln, was eine wichtige Voraussetzung für geglückte Kommunikation ist. Dies gilt für die Feier in der Studenten WG, zu der jeder einen Beitrag leisten „muss“, genauso wie für die Einladung in gehobene Kreise mit offizieller Vorstellung und unverrückbarer Teller-, Gläser- und Besteckfolge, oder für das Treffen der Rocker-Gang im Hinterhof.
Wenn diese Rituale, wie immer sie aussehen mögen, nicht beachtet werden, fühlt der Mensch sich sofort irritiert, bedroht oder beleidigt.
Darin dass der Mensch sich also mit einem bestimmten Spektrum an Ritualen vertraut und wohl fühlt, liegen zahlreiche interkulturelle, aber auch intersoziale Missverständnisse begründet. Der Asiate wird sich nicht besonders geschätzt fühlen, falls er gegebenenfalls außer dem Platz des Hausherren nicht auch dessen Schlafstätte angeboten bekommt. Der Amerikaner in Europa empfindet Ablehnung bei Ausbleiben der persönlichen Einladung in das Haus seines Geschäftspartners. Dagegen interpretiert der Deutsche in Amerika, entsprechend der eigenen Mentalität, das Willkommen sein im Haus des selbst flüchtigen Bekannten als Angebot der Freundschaft, und fühlt sich irritiert wenn er dem Gastgeber keineswegs persönlich näher kommt.
Aber auch innerhalb derselben Kultur sind Missverständnisse möglich. Wenn die in großbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsene Mutter erstmals in die Wohnung der zukünftigen Künstler-Schwiegertochter eingeladen wird und dort eventuell auf Etikette und Tischmanieren nicht so viel wert gelegt wird, werden unter Umständen noch jenseits jeglicher Sympathie Mauern aufgebaut, die später nur schwer überwunden werden können.
Diese ungeschriebenen Gesetze vermitteln also Halt und Orientierung, wir fühlen uns sicher, wenn sie beachtet werden und verunsichert, wenn jemand sie absichtlich oder unabsichtlich boykottiert.

DAS GEMEINSAHME MAHL
Zu allen Zeiten, bei allen Völkern, in allen Kulturen und sozialen Schichten treffen wir auf ein allen gemeinsames Ritual der Gastfreundschaft: Das gemeinsame Essen.
Schon seit biblischen Zeiten werden Mahlzeiten gefeiert und es gibt keine Feier ohne gemeinsames Mahl.
Die Essensrituale vieler Kulturen beziehen sich dabei zum Beispiel auf gemeinsame Essensvorbereitungen, gemeinsame Dank- oder Tischgebete, die Einhaltung einer bestimmten Reihenfolge der Speisen und der Pausen dazwischen.
Rhythmusforscher und Physiologen haben in jüngster Zeit vermutet, dass dabei seit jeher instinktiv die körperlichen Vorgänge, die Verdauungsrhythmen Berücksichtigung gefunden haben. Das gemeinsame Essen verbindet also, physiologisch Betrachtet, die Teilnehmer durch die selben körperlichen Bedürfnisse und Empfindungen, was ganz allgemein zu einer Auflockerung und Entspannung, zu einer versöhnlichen, einander zugeneigten Stimmung führt.
Kommt, wie ebenfalls weltweit üblich ein gewisses (geringes!) Maß an Alkoholkonsum mit seiner Hemmungslösenden Wirkung dazu, kann eine gemeinsame Mahlzeit zur größtmöglichen Völkerverständigung führen.
Diese Tendenz nutzen wir im familiären, genauso wie im gesellschaftlichen oder geschäftlichen Bereich, indem wir wichtige Ereignisse, aber auch konträre Diskussionen mit einem gemeinsamen Essen beschließen, so dass sich Beruhigung oder größere Gelassenheit einstellen können. Gleichzeitig ist das Teilen einer Mahlzeit eine zutiefst symbolische Handlung.
Seit dem biblischen Abendmahl bedeutet das gemeinschaftliche Brotbrechen auch Zusammengehörigkeit, Für-einander-einstehen und über den Kreis der Anwesenden hinaus menschliche Solidarität:
Beim Akt der Nahrungsaufnahme sind alle gleich.