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GÄSTE UND FISCHE STINKEN NACH DREI TAGE
Einige Gastgeber bieten ihren Gästen problemlos nicht nur Speis und Trank, sondern auch Tisch und Bett an und freuen sich über die Abwechslung in ihrem Alltag. Andere beschleicht schon beim Gedanken an Übernachtungsbesuch Unbehagen und sie erinnern sich an versperrte Badezimmertüren, offene Klodeckel, zerpflückte Morgenzeitungen und aufgezwungene Frühstücksgespräche. Dabei sind es nur besonders liebenswerte Gäste denen das Bleiben angeboten wird und trotzdem kann es passieren, dass keine rechte Freude aufkommt.
Jeder von uns scheint eine Menge Gewohnheiten nach einer bestimmten persönlichen Ordnung festgelegt zu haben, was uns erst zu Bewusstsein kommt, wenn jemand diese Ordnung stört. Diese Verhaltensweisen, die durch ihre unveränderliche Wiederholung rituellen Charakter angenommen haben, geben uns Halt, Orientierung und Sicherheit, sie strukturieren den Alltag und bilden einen Teil unseres unbewusst inszenierten Tagesablaufes.
Besonders notwendig haben wir sie in Momenten, in denen wir erst einmal „zu uns selbst kommen müssen“, bevor wir anderen gegenüber treten. In solchen Augenblicken begegnen wir womöglich innerer Unsicherheit, Anspannung, Traurigkeit oder Druck. Um diesen Gefühlen keine Macht über uns zu geben, haben wir den dringenden Wunsch dem „Chaos“ eine feste äußere Ordnung entgegen zu setzen. In dieser Hinsicht sind der Morgen („...wird heute alles klappen?...schaff ich was ich mir vorgenommen habe?“) und der Abend („...gelingt es mir den Tag hinter mir zu lassen, mich zu entspannen?...“) besonders kritische Zeiträume, in denen wir sehr empfindlich auf Störungen reagieren können.
Der bleibende Gast mutet uns diese Irritation unwissentlich zu. Kombiniert mit unserer oben beschriebenen Neigung das was wir für unsere Schwächen halten dem Gast nicht unbedingt erkennen geben zu wollen, kann die Beherbergung eines Gastes ziemlich schnell anstrengend werden. Besonders die „Fassaden-Künstler“ unter uns, denen klar wird, dass familiäre Probleme und Unstimmigkeiten nur schwer über einen längeren Zeitraum zu verbergen sind, sind daher froh wenn sie die Haustüre nach eher weniger wie mehr Tagen hinter dem Gast schließen können.

EIN PLÄDOYER FÜR GÄSTE
Vor diesem Hintergrund wird nachvollziehbar, warum kürzlich in einem Ratgeber zur Verminderung von Stress vorgeschlagen wurde, in Zukunft auf private Einladungen zu verzichten und lieber Treffen in Restaurants zu arrangieren. Außer Zweifel steht wohl, dass die meisten Menschen auf Feste und Feiern nicht verzichten wollen. Sie gliedern den Jahreslauf und das Leben und markieren die Punkte, an die wir uns später erinnern. Manche Festlichkeiten mögen in Lokalen besser aufgehoben sein, aber sind nicht gerade nach unserem Verständnis häusliche Einladungen viel verbindlicher und persönlicher? Vielleicht können wir den „Gastgeber-Stress“ auch reduzieren, indem wir uns fragen, ob er wirklich nötig ist. Die „gut-ist-nicht-gut-genug“ und „mehr-ist-besser“ – Mentalität unserer Leistungs- und Konsumgesellschaft baut mit der uns eigenen Gründlichkeit zunehmend Mauern auch in unserem privatestem zwischenmenschlichen Bereich auf. Der Blick hinter die Fassaden könnte uns zwar als nicht perfekte aber dafür vollständige Menschen mit Stärken und Unzulänglichkeiten ausweisen, was eine ehrlichere Kommunikation ermöglichen würde. Auf dieser Basis können unsere Gastgeber/Gast-Rituale zu einer echten Bereicherung werden, indem sie uns auch im eigenen Land von unterschiedlichen familiären Traditionen, Gepflogenheiten und Geschichten erzählen, ohne dass wir zueinander in Konkurrenz treten müssten. Unterschiedliche Standpunkte eröffnen neue Perspektiven und fördern so unsere Toleranz und Flexibilität. Wir könnten das Neandertaler-Niveau, auf dem Gleiches mit Gleichem oder Besserem vergolten werden muss, verlassen und erleichtert das anbieten, was wir zu bieten haben, auch wenn dann das 3-Sterne-5-Gänge-Menü mit einem Eintopf erwidert wird.
Rituale hatten ursprünglich den Sinn eine Balance zwischen verschiedenen Blickwinkeln, Kräften und Lebensformen herzustellen, um gegenseitiges Vertrauen, Verständnis und Hilfsbereitschaft zu fördern.
Wenn man bedenkt, wie viele Beziehungen heutzutage von Misstrauen und Konkurrenzstreben geprägt sind, kann man ermessen, wie dringend wir unser zwischenmenschliches Verhalten überdenken müssen, um eine immer größere Vereinzelung und Vereinsamung zu verhindern.
Gäste zu bewirten und Gast zu sein, wären eine gute Übung, um uns wieder zu tragfähigen Gemeinschaften zusammen zu finden und unbeschwert Spaß, Unterhaltung und Lebensfreude zu teilen, die Gründe, aus denen wir nie aufgehört haben Einladungen auszutauschen.
In diesem Sinne wünschen wir ein geruhsames Weihnachtsfest und viel Zeit umringt von lieben Menschen!